Die Schaffung kollaborativer Situationen, Prozesse und Aktionen liegt der künstlerischen Praxis von Alicja Rogalska zugrunde. Sie arbeitet oft mit Menschen, die in unsicheren wirtschaftlichen und politischen Kontexten leben, AktivistInnen und ForscherInnen: WanderarbeiterInnen, Menschen, die ihrer Staatsbürgerschaft entzogen sind, BetreuerInnen, StraßenmusikerInnen, als Anwältin ausgebildete AsylbewerberInnen, JunglandwirtInnen, Volksliedgruppen oder FeministInnen und ausländische AktivistInnen. Was aus diesen Interaktionen hervorgeht, sind temporäre Kollektive, die auf der Grundlage einer gemeinsamen Lebenssituation, Klasse, politischen Überzeugungen oder einem Engagement für gesellschaftlichen Wandel gebildet werden. Die durch die kollektiven Prozesse entstandenen Videos, Bilder und Objekte repräsentieren Momente der Handlungsfähigkeit, Rebellion und Solidarität. Indem sie die Logik des Kapitalismus in Frage stellen, versuchen die Arbeiten einen Raum für die Imagination anderer, gerechterer Möglichkeiten zu schaffen.
In ihren Texten zum Konzept der präsentistischen Demokratie schreibt Isabell Lorey, dass Subjektivität das „Potenzial sozial transformativen Empowerments hat – nicht als bewusstes politisches Handeln eines autonomen Subjekts, sondern in den Praktiken und Momenten der konstituierenden Macht der multiplen Vielen. . Um die gängige Vorstellung von Unmittelbarkeit und Präsenz als Verweigerung politischer Repräsentation, dem unerwünschten Erbe von Hegels Denken, in Frage zu stellen, nutzt sie Benjamins Idee der Gegenwart, um alles zu validieren, was zu ihrer Entstehung neuer politischer Subjektivitäten beiträgt. Sie distanziert sich von den Konzepten der Linearität und des Fortschritts und schreibt: „Die gegenwärtige Demokratie durchbricht liberal-demokratische Zeiten und Räume. Sie wird zu einer neuen Form der Demokratie, in der vielen Menschen ein „gutes Leben“ ermöglicht wird. Die gegenwärtige Demokratie lebt nicht von einem verspäteten Zukunftsversprechen. Es wird bereits in der Realität praktiziert, in der gegenwärtigen Zeit des Kampfes.“ Für die Unsicheren ist die Verbindung zur Vergangenheit gebrochen und die Zukunft kann nicht projiziert werden, also: „Man muss in der Lage sein, einen Neuanfang zu wagen und das Werden in der Gegenwart zu bestätigen. Die Praktiken des Handelns, Denkens und Fühlens setzen sich nie mit dem Vergangenen fort; sie sind nicht nur Routine oder Gewohnheit.“ Durch die Initiierung kollektiver Aktionen nutzt Alicja Rogalska das Potenzial der Kunst, uns im gegenwärtigen Moment zu erfassen und zu erweitern, und hilft ihren Mitarbeitern dabei, sich als Subjekte innerhalb einer bestimmten kollektiven Perspektive zu rekonstruieren. Was hier ein künstlerisches Projekt generiert, ist gewissermaßen ein Netzwerk der Solidarität, das viel länger dauern kann als das Projekt selbst. Die sinnliche Schicht der Kunstwerke trägt dazu bei, die emotionale Landschaft, die die Sujets in sich tragen, ihren spezifischen individuellen „Grund“ auszudrücken und zu festigen. Durch die kollektive Anstrengung im Rahmen eines künstlerischen Projekts entsteht eine andere Landschaft – ein Horizont, eine Öffnung, ein Riss – die es ermöglicht, über den rechtlichen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Status Quo hinauszugehen.
Alicja Rogalska ist eine in Polen geborene interdisziplinäre Künstlerin, die in London und Berlin lebt und international arbeitet. Rogalska hat einen MA in Kulturwissenschaften der Universität Warschau und einen MFA in Bildender Kunst des Goldsmiths College, wo sie derzeit Doktorandin am Fachbereich Kunst ist. Kürzlich präsentierte sie ihre Arbeiten in der Kunsthalle Bratislava (2021), der Kunsthalle Wien (Wien, 2020—2021), der OFF Biennale (Budapest, 2020—2021) und der Tabakalera (San Sebastian, 2020). Rogalska ist derzeit Artist in Residence an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Essex University (2019–2021) und Fellow des DAAD Artists-in-Berlin Program 2020.
Die von Aneta Rostkowska kuratierte Ausstellung ist Rogalskas erste Soloperformance in Deutschland und sammelt Kunstwerke, die zwischen 2011 und 2021 entstanden sind. Es sitzt in einem immersiven, landschaftsähnlichen Ausstellungsdesign von Mateusz Okoński und wird von einem reichhaltigen öffentlichen Programm begleitet, das eine Aktion im öffentlichen Raum, ein Künstlergespräch, eine Führung, eine Lesung, einen Vortrag über sozial engagierte Kunst und ein Wohlstandstag für Kölner Stadtaktivisten. Die Ausstellung wird gefördert durch das Berliner Künstlerprogramm des DAAD und findet in Kooperation mit „beuys 2021: 100 Jahre joseph beuys“ statt.
Zitate: Isabell Lorey, „Presentist Democracy: The Now-Time of Struggles“, in: Andreas Oberprantacher, Andrei Siclodi (Hrsg.), Subjektivierung in politischer Theorie und zeitgenössischer Praxis, Palgrave Macmillian London South Yarra Sydney 2016, p. 152, 160 und Isabell Lorey, Presentist Democracy. Die Gegenwart neu denken, in: Quinn Latimer, Adam Szymczyk (Hrsg.), Dokumente 14. München: Reader, Prestel 2017, S. 185.
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