Am ersten Tag der Gläubigerversammlung im Münchner Löwenbräukeller meldete der Insolvenzverwalter die Situation dem Zahlungsabwickler Wirecard. Verkaufserlöse werden durch schreckliche Schulden kompensiert.
Von Lothar Gries, boerse.ARD.de
Der große Ballsaal im Löwenbräukeller in München bietet normalerweise Platz für bis zu 3.000 Personen. In diesen Corona-Zeiten kann es jedoch nur 350 sein. Und normale Gäste, damit genügend Abstand eingehalten werden kann. Und die Gäste müssen auch auf Braai-Fleisch und Brot verzichten.
Die Damen und Herren, die sich seit 08:30 Uhr im traditionellen Restaurant treffen, haben sowieso keine Lust auf Feiern. Im Gegenteil, sie möchten vom Insolvenzverwalter Michael Jaffé wissen, ob und wie viele ihrer Ansprüche gegen den insolventen Zahlungsabwickler Wirecard wieder sichtbar sind.
Nur ein Bruchteil der Schulden
Sieben Richter und elf Richter müssen dafür sorgen, dass im Gerichtssaal alles reibungslos läuft. Nach Ansicht der meisten Experten sollte nur ein Bruchteil der von Wirecard angehäuften Schulden in Höhe von drei Milliarden Euro an die Gläubiger zurückgezahlt werden.
Neben Banken und Spendensammlern wurden auch Privatanleger zugelassen, sofern sie die durch den Zusammenbruch der Wirecard-Aktien entstandenen Verluste als Schadensersatzansprüche registriert haben.
Jaffé legt einen Bericht vor
Sie hatten bis zum 20. Oktober Zeit, dies zu tun. Bis dahin mussten die Gläubiger der Wirecard AG und der sechs insolventen Tochterunternehmen Wirecard Technologies, Issuing Technologies, Service Technologies, Acceptance Technologies, Sales International Holding und Global Sales ihre Forderungen in die Insolvenztabelle eintragen.
Rechtsanwalt Michael Jaffé, der zum Insolvenzverwalter ernannt wurde, wird auf der heutigen Wirecard-Sitzung über die Situation berichten. Das Insolvenzverfahren wurde Ende August eröffnet. Die Gläubigerversammlung muss nach den Regeln innerhalb von drei Monaten nach Verfahrensbeginn stattfinden.
Santander übernimmt technologische Plattform
Nach dem Verkauf einer Reihe ausländischer Tochtergesellschaften konnte Jaffé gestern, einen Tag vor der Gläubigerversammlung, den Verkauf des Kerngeschäfts von Wirecard bekannt geben. Wie erwartet will die spanische Bank Santander die technologische Plattform, die notwendigen Vermögenswerte und das Personal übernehmen, rund 500 Mitarbeiter. Die Insolvenz wird diese Transaktion nur unwesentlich verbessern, da der Kaufpreis angeblich nur gut 100 Millionen Euro beträgt. Der Verkauf soll bis Ende des Jahres abgeschlossen sein.
Die Muttergesellschaft Wirecard AG, die Tochtergesellschaften Wirecard Technologies und Wirecard Acquiring and Issuing sowie die Wirecard Bank werden von den Spaniern nicht übernommen.
Jaffé verkaufte zuvor die ehemalige Tochtergesellschaft von Wirecard in den USA und andere Unternehmen in Brasilien und Rumänien. Nach Angaben von Finanzkreisen belief sich der Gesamtumsatz bisher auf eine halbe Milliarde Euro. Dieser Erlös kommt den Gläubigern zugute. Weitere Verkäufe sind in Asien, Südafrika und der Türkei geplant. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass der Schuldenberg von Wirecard damit beseitigt werden kann.
Konten sind weitgehend leer
Der Insolvenzverwalter fand nur rund 20 Millionen Euro auf den Konten des Unternehmens. Zuvor hatten die Führungskräfte der Gruppe offenbar die Konten gelöscht. Jaffé entdeckte zwischen Ende 2019 und der Insolvenz von Wirecard Mitte 2020 zahlreiche verdächtige Transaktionen. Geschäftspartner in Asien haben Kredite in Höhe von mehr als einer halben Milliarde Euro erhalten. Es ist ungewiss, ob zumindest ein Teil dieses Geldes in den Bankrott fließen könnte.
Wie so oft in der Vergangenheit muss nur ein Bruchteil der Forderungen an die Gläubiger zurückgezahlt werden. Wie der Insolvenzbericht zeigt, hat sich das irische Unternehmen Trinity Investments zum größten Wirecard-Gläubiger entwickelt. Sie kaufte Schuldner für mehr als 770 Millionen Euro aus Wandelanleihen und Staatsanleihen, aber auch aus Bankdarlehen.
90 Prozent Darlehen abgeschrieben
Ein Konsortium aus 15 Instituten hat Wirecard-Kreditlinien in Höhe von 1,75 Milliarden Euro gewährt, von denen 1,6 Milliarden Euro abgezogen wurden. Die Commerzbank, die LBBW und die großen niederländischen Banken ABN Amro und ING gehörten zu den größten Kreditgebern.
Diese vier Institute gewährten Wirecard jeweils eine Kreditlinie von rund 200 Millionen Euro. 100 Millionen Euro kommen von der staatlichen Entwicklungsbank KfW. Viele Banken haben die Kredite inzwischen weitgehend abgeschrieben.
Privatanleger können klagen
Und was ist mit privaten Investoren? Normalerweise erhalten sie in einem Insolvenzverfahren nichts, so dass das investierte Geld weg ist, weil sie als Aktionäre Miteigentümer des Unternehmens waren. Folglich sind Verluste Teil des Geschäftsrisikos.
Bei Wirecard sieht es jedoch anders aus. Denn in diesem Fall sind sowohl die Aktionäre als auch andere Gläubiger Opfer von Betrug, Fälschung der Bilanz und Marktmanipulation geworden. Anleger können auch gegen die Wirtschaftsprüfer vorgehen. EY hat seine uneingeschränkte Bescheinigung für viele Jahre ausgestellt und möglicherweise gegen seine Inspektionspflichten verstoßen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass das Atmen solcher Beschwerden lange dauert, da sie jahrelang anhalten – mit offenem Ausschlag.
Die: boerse.ard.de
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