Einheitliches Patentgericht bietet weitreichende Chancen für MedTech-Unternehmen – Patent

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Am 1. Juni 2023 wurde in der EU das neue Patentsystem zum einheitlichen Schutz von Erfindungen eingeführt. Unternehmen können nun Patentanmeldungen mit einheitlicher Wirkung in derzeit 17 teilnehmenden EU-Ländern (EPÜ-Staaten) beantragen. Darüber hinaus können Patentstreitigkeiten, die auf einfachen europäischen Patenten und Einheitspatenten beruhen, nun zentral vor dem Einheitspatentgericht geführt werden. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass das neue Patentsystem auch für die Medizinprodukteindustrie weitreichende Chancen bietet.

Im Bereich der Medizintechnik ist der Schutz von Innovationen von zentraler Bedeutung. Forschung und Entwicklung sind weiterhin mit hohen Kosten verbunden, die aufgrund der zwingenden Anforderungen der Medizinprodukteverordnung (VO (EU) 2017/745) in jüngster Zeit vermutlich noch weiter gestiegen sind. Umso wichtiger ist es für innovative Unternehmen der Branche, ihre wertvollen Erfindungen schützen und gegebenenfalls erfolgreich gegenüber Wettbewerbern durchsetzen zu können.

Bisher konnten europäische Patente nur in den gewünschten Mitgliedsstaaten validiert und aufrechterhalten werden. Abhängig von der Anzahl der Staaten können sich die Kosten für die Validierung eines Patents im Laufe der Jahre schnell summieren. Ähnlich wie bei der zentralisierten CE-Kennzeichnung kann mit dem Einheitspatent nun mit nur einer Anmeldung ein einheitlicher Schutz für alle 17 teilnehmenden EU-Länder gleichzeitig in den EPG-Staaten erreicht werden. Dies kann zu erheblichen Einsparungen bei den Validierungskosten führen. Darüber hinaus können europäische Patente weiterhin in den EU-Ländern beantragt und erteilt werden, die nicht am einheitlichen Patentsystem teilnehmen. Gleiches gilt für die 17 EPÜ-Staaten. Für Unternehmen, die Patentschutz suchen, ist das Auswahlspektrum damit deutlich breiter geworden.

Das einheitliche Patentgericht eröffnete zudem eine weitere strategische Option für Patentstreitigkeiten in Europa. Klassische europäische Patente, die nicht von ihrem Inhaber der Zuständigkeit des neuen Gerichts entzogen wurden, und Einheitspatente können nun jeweils in einem Verfahren mit gleicher Wirkung für mehrere europäische Länder durchgesetzt oder angefochten werden. Für Patentinhaber stellt dies eine effiziente Möglichkeit dar, ihre Ansprüche schnell länderübergreifend durchzusetzen.

Starker Anstieg der Patentanmeldungen in der Medizintechnik.

Wie viel Potenzial das neue Patentsystem für die Branche birgt, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Die Zahl der Patentanmeldungen im Bereich der Medizintechnik ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen – seit 2010 um ganze 50 %.

Mit 15.321 europäischen Patentanmeldungen im Jahr 2021 (Quelle: Europäisches Patentamt, Stand 26. Juli 2023) liegt die Medizintechnikbranche an zweiter Stelle der Technologiebranchen mit den meisten Anmeldungen, direkt nach der Branche der digitalen Kommunikation mit 15.400 Anmeldungen.

Die deutsche Medizintechnikbranche, die zuletzt mehr als 40 Prozent des Branchenumsatzes in der EU erwirtschaftete (Quelle: „Die deutsche Medizintechnikbranche“, SPECTARIS Jahrbuch 2022/2023), verzeichnete das zweitstärkste Wachstum bei europäischen Patentanmeldungen (plus 8,1). ) % im Jahr 2021 im Vergleich zu 2020).

Angesichts der hohen Anmeldequoten ist davon auszugehen, dass in Europa künftig regelmäßig Patentstreitigkeiten im Medizintechnikbereich ausgetragen werden.

Neues Gericht leitet bereits Verfahren ein

Angesichts der Vorteile, die es den Unternehmen bietet, dürfte die Bedeutung des neuen einheitlichen Patentgerichts rasch zunehmen. Nur wenige Wochen nach seiner Einführung haben Unternehmen aus der Medizintechnikbranche bereits Klagen beim Einheitlichen Patentgericht eingereicht. Von den insgesamt 29 öffentlich registrierten Fällen stammen fünf aus der Medizintechnikbranche (Stand 31.07.2023). Insbesondere die deutsche Amtskammer in München, wo drei der fünf Klagen eingereicht wurden, ist ein beliebter Anlaufpunkt für Unternehmen aus der Medizintechnikbranche.

Der weltweite Patentstreit zwischen DexCom Inc. und mehrere Unternehmen der Abbott-Gruppe, die ursprünglich sowohl in den USA, im Vereinigten Königreich als auch in Deutschland eingereicht wurden und nun auf das einheitliche Patentgericht ausgeweitet werden, könnten großes Interesse wecken. Den Gerichtsakten zufolge reichte DexCom vor den örtlichen Kammern in Paris und München zwei Vertragsverletzungsverfahren gegen Abbott ein, deren Streitwert vom Kläger jeweils auf 4 Millionen Euro geschätzt wurde. In diesem Fall streiten die Parteien auf der Grundlage zweier europäischer Patente (EP 3 797 685 und EP 3 435 866), die bestimmte Technologien schützen, die für Glukoseüberwachungsgeräte verwendet werden können.

Hohe Streitwerte in der Medizintechnikbranche

Auch die Streitwerte in den bereits vor dem Einheitspatentgericht anhängigen Medizintechnikfällen sind nicht unerheblich. Der Streitwert in zwei von Edwards Lifesciences Corporation angestrengten Hauptverfahren für EP 2 628 464 („Prothetische Klappe“) und EP 3 646 825 („Ein System bestehend aus einer prothetischen Klappe und einem Einführkatheter“) beträgt jeweils 8 Millionen Euro Zu.

Mit einem durchschnittlichen Streitwert von 4 Mio. Euro für die bisher fünf registrierten Verfahren ist die Medizintechnik der technische Bereich mit dem zweithöchsten durchschnittlichen Streitwert.

Lediglich im Bereich Biotechnologie und pharmazeutische Produkte (Bio/Pharma) wurden im Median höhere Streitwerte gemeldet (7,5 Mio. Euro). Auf der Medizintechnik folgen Elektrotechnik (Median 1,0 Millionen Euro) und Maschinenbau (Median 1,4 Millionen Euro). Die bisher höchsten Streitwerte, jeweils 100 Millionen Euro, wurden für Klagen zwischen Unternehmen der Sanofi-Gruppe, Regeneron Pharmaceuticals Inc., gemeldet. und Amgen Inc. durch EP 3 666 797 („Antigen-Bindungsproteine ​​zur Proproteinkonvertierung Subtilisin Kexin Typ 9 (PCSK9)“). Derart hohe Streitwerte lassen sich wohl insbesondere dadurch erklären, dass das einheitliche Patentgericht für mehr als nur ein Land entscheiden kann.

Angesichts des großen räumlichen Geltungsbereichs können Streitigkeiten vor dem einheitlichen Patentgericht daher für die Beteiligten eine äußerst hohe wirtschaftliche Relevanz haben. Unternehmen müssen daher bereits bei der Einreichung ihrer künftigen Patentanmeldungen entscheiden, ob sie sich an das neue Gericht wenden wollen oder nicht. Während der Patentinhaber klassischer europäischer Patente während der (verlängerbaren) Übergangsfrist von sieben Jahren – je nach Einzelfall – die Wahl hat, diese Patente im neuen System durchzusetzen oder nicht, besteht diese Wahl bei einheitlichen Patenten nicht Patente. Letzteres kann nur vor dem neuen Gericht durchgesetzt und dort nur im Wege der Nichtigkeitsklage angefochten werden.

Die Entscheidung über die Art der Patentanmeldung dürfte daher im Wesentlichen davon abhängen, wie viele strategische Optionen sich der Anmelder im Zweifelsfall offenhalten möchte. Europäische Patente haben in diesem Zusammenhang den Vorteil, dass sie nach ihrer Entziehung aus der Zuständigkeit des einheitlichen Patentgerichts unter bestimmten Voraussetzungen auch wieder in Kraft gesetzt werden können. Je nach Einzelfall können sich daraus strategisch wertvolle Optionen ergeben.

Hohe wirtschaftliche Bedeutung erfordert eine entsprechende Vorbereitung

Vor dem Hintergrund des boomenden deutschen Medizintechnikmarktes und der stetig steigenden Zahl an Patentanmeldungen bietet das neue Gerichtssystem neue Chancen für die Medizintechnikbranche. Es zeichnet sich einerseits durch seine große territoriale Reichweite aus. Andererseits können dort Verfahren recht schnell durchgeführt werden. Beispielsweise kann ein Verletzungsverfahren in erster Instanz innerhalb von 12 bis 14 Monaten abgeschlossen werden, auch wenn das Gericht im Falle einer Nichtigkeitswiderklage gleichzeitig über die Rechtsstellung des Streitpatents entscheiden muss. Dies bietet Möglichkeiten für eine schnelle grenzüberschreitende Konfliktlösung. Dadurch werden viele unterschiedliche nationale Verfahren vermieden, die teilweise zu unterschiedlichen Entscheidungen in den einzelnen Gerichtsbarkeiten führen können.

Bei besonderer Dringlichkeit können auch einstweilige Anordnungen beantragt werden. Dies spielt häufig eine Rolle, wenn beispielsweise im Rahmen von Messeauftritten Patentverletzungen drohen und schnelles Handeln zur Verhinderung solcher Verstöße erforderlich ist. Das neue Gericht kann solche Anordnungen nicht nur innerhalb kürzester Zeit, sondern auch ohne vorherige Anhörung der betroffenen Partei erlassen. Und auch die Durchsetzung von Titeln soll erleichtert werden. Künftig muss die obsiegende Partei nur noch einen einzigen Titel durchsetzen, der gleichermaßen für die verschiedenen EPÜ-Staaten gilt, für die das Patent geltend gemacht wird.

Angesichts dieser Vorteile verwundert es nicht, dass bereits erste Verfahren vor dem neuen Gericht anhängig sind. Die Anzahl der Verfahren deutet darauf hin, dass sich das Gericht in Zukunft zunehmender Beliebtheit erfreuen wird. Medizintechnikhersteller sollten sich daher – sofern noch nicht geschehen – mit dem neuen System vertraut machen, um es für die Sicherung der eigenen Marktposition bestmöglich nutzen zu können. Dabei kommt es vor allem darauf an, die rechtlichen Argumente gründlich vorzubereiten und die nötigen Beweise zur Hand zu haben. Denn angesichts der Geschwindigkeit, mit der das Verfahren abläuft, sind die Fristen der Parteien für die Einreichung von Beschlüssen äußerst kurz. Auch die Kenntnis der rechtlichen Grundlagen ist wichtig, um Fallstricke zu vermeiden und ein Verfahren erfolgreich zu führen.

Der Inhalt dieses Artikels soll einen allgemeinen Leitfaden zum Thema bieten. Bezüglich Ihrer besonderen Umstände sollten Sie fachkundigen Rat einholen.

Jochen Fabel

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