Unter einem liberal geführten Finanzministerium wird Deutschland eine harte Linie in der EU-Finanzpolitik verfolgen und Forderungen aus südlichen EU-Ländern nach Lockerung der Haushaltsregeln ablehnen. Allerdings ist die wirtschaftsfreundliche FDP kompromissbereit. EURACTIV Deutschland Berichte.
Während die südlichen Länder der EU darauf bestehen, die Fiskalregeln flexibler und süchtiger zu machen, zögert Deutschland, den Stabilitäts- und Wachstumspakt – das wichtigste Finanzinstrument der EU zur Überwachung der Staatshaushalte – zu reformieren.
„Der Stabilitäts- und Wachstumspakt hat seine Flexibilität bereits bewiesen“, betonte Otto Fricke, Bundestagsabgeordneter und haushaltspolitischer Sprecher der FDP, mit Blick auf die kurzfristige Aussetzung der Regeln während der COVID-19-Krise.
Nicola Beer, die für die FDP das europäische Kapitel des Koalitionsvertrags mitverhandelte, kündigte eine recht entschlossene Haltung der Parteien zu den Verhandlungen zum Stabilitäts- und Wachstumspakt an.
„Das Finanzministerium unter Führung der FDP wird sich auf europäischer Ebene für solide Haushalte und fiskalische Regeln einsetzen. Es wird darauf abzielen, den Stabilitäts- und Wachstumspakt durchsetzungsfähiger zu machen“, sagte sie gegenüber EURACTIV.
Fricke und Beer betonten, dass die Regeln zur Staatsverschuldung nicht geändert werden sollten. Das bedeutet, dass die Mitglieder der Eurozone ihren Schuldenstand auf 60 % und das Jahresdefizit auf maximal 3 % des BIP reduzieren müssen.
Stattdessen müssten die Fiskalregeln „schlanker und klarer“ werden. Die Missachtung der Fiskalregeln solle nach Möglichkeit automatische Konsequenzen haben und „nicht der politischen Abrechnung überlassen bleiben“, sagte FDP-Haushaltsexperte Fricke gegenüber EURACTIV.
„Ein schlechtes Signal für Europa“
Diese strengen Haushaltsregeln werden heute von vielen Regierungen als überholt angesehen.
In den letzten 20 Jahren beispielsweise hat Italien fast jedes Jahr einen Primärüberschuss erzielt, aber seine Staatsverschuldung ist gestiegen und macht jetzt 155% seines BIP aus. Wenn sich die EU an die geltenden Regeln hält, müssen die Länder des Blocks innerhalb von 20 Jahren ihre Schulden auf 60 % reduzieren.
„Auch Italien muss seine Schuldenquote innerhalb von 20 Jahren auf 60 Prozent senken“, bekräftigte Beer die Position der FDP und fügte hinzu, man könne den Weg des Abbaus höchstens flexibel modellieren. „Der Schuldenabbau muss nicht unbedingt linear erfolgen“, sagte sie.
Experten warnen davor, dass das Beharren auf diesen strengen Regelungen nicht nur die südlichen Mitgliedsstaaten, sondern die gesamte Eurozone betreffen wird.
Magnus Schoeller, Wissenschaftler am Zentrum für Europäische Integrationsforschung der Universität Wien, sprach von einem „schlechten Signal für Europa“.
„Es besteht ein breiter internationaler Konsens darüber, dass diese strenge Auslegung der Fiskalregeln das Wirtschaftswachstum in den strukturschwächeren Ländern der Eurozone massiv negativ beeinflussen könnte“, sagte Schoeller gegenüber EURACTIV.
Dies könne später in den Südstaaten zu einer Rezession oder gar Deflation führen, „die auch die Eurozone insgesamt gefährden könnte“, so Schoeller weiter.
Schoeller argumentierte vielmehr, dass ein Ausgleichsmechanismus zwischen den exportorientierten, wettbewerbsstarken Staaten und den südlichen Ländern der Eurozone notwendig sei, um die Stabilität der Eurozone längerfristig zu gewährleisten.
Raum für Kompromisse
Ob es das FDP-geführte Finanzministerium mit seinen Ankündigungen ernst meint, bleibt allerdings abzuwarten.
„Es ist möglich, dass sie hier Poker spielen und die FDP am Ende weniger streng ist, als sie angekündigt hat“, so Schoeller weiter.
Der Koalitionsvertrag lässt die Option offen, den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu reformieren. Laut Koalitionsvertrag muss sich die Reform auf vier Ziele konzentrieren: Sie muss Wachstum, Schuldentragfähigkeit, Investitionen und eine einfachere Durchsetzung ermöglichen.
Vorsichtig optimistisch ist Max Krahé, Forschungsleiter des Think Tanks Dezernat Zukunft.
„Es ist noch offen, wie sich die neue Regierung in der Diskussion um Fiskalregeln positionieren wird. „Es scheint, dass sie offen und konstruktiv über die Regeln sprechen wollen“, sagte Krahé gegenüber EURACTIV.
Seiner Meinung nach wird viel vom gegenseitigen Vertrauen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der anderen Mitgliedstaaten abhängen. „Der Koalitionsvertrag ist ein Gesprächsangebot“, betonte er.
Obwohl sich die FDP an die allgemeinen Regeln zur Neuverschuldung hält, sieht Fricke in einigen Bereichen einen möglichen Kompromiss.
„Ich kann mir vorstellen, dass bei wirklich zukunftsorientierten Investitionen – zum Beispiel in die digitale Infrastruktur – die 3%-Regel für einen begrenzten Zeitraum überschritten werden könnte“, sagte der FDP-Politiker.
[Edited by Alice Taylor]
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