Zwei Fragen waren bei den Bürgermeisterwahlen in Stuttgart besonders spannend: Werden die Grünen das Rathaus, zu dem Fritz Kuhn vor acht Jahren gezogen ist, zu großem Jubel halten? Und wie gut wird der Kandidat mit der aggressivsten Kampagne abschneiden?
Nach der ersten Runde an diesem Sonntag ist noch nichts entschieden – es kommt nun darauf an, ob es einem Kandidaten gelingt, alle Stimmen aus dem ökosozialen Spektrum bei der zweiten Abstimmung zu kombinieren. In Baden-Württemberg gibt es keine Stichwahl, theoretisch können alle Bewerber wieder teilnehmen. Dann reicht die relative Mehrheit für einen Sieg.
Derzeit kann der CDU-Kandidat Frank Nopper große Hoffnungen haben, am 29. November der Gewinner zu sein. Fast 32 Prozent der Wähler gaben am Sonntag ihre Stimme ab – eine unerwartet hohe Zahl angesichts von 14 Kandidaten und Umfragen, die keine klaren Präferenzen zeigten.
Der 59-jährige Nopper ist ein in Stuttgart aufgewachsener Anwalt, der seit achtzehn Jahren Bürgermeister von Backnang ist, einer 38.000-köpfigen Stadt in der Nähe von Stuttgart.
Veronika Kienzle, die Antragstellerin für Gemüse, erhielt nur gut 17 Prozent und blieb damit hinter den Erwartungen zurück. Denn die Grünen in Stuttgart sind in der Tat sehr stark: Bei den Kommunalwahlen 2019 erreichten sie 26,3 Prozent und wurden zur stärksten Fraktion im Gemeinderat.
Was war das? Dass es Fritz Kuhn vor acht Jahren gelang, den CDU-Kandidaten zu übertreffen, hatte auch mit seinen Prominenten zu tun. Diesmal schob es kein ähnlich bekanntes Parteimitglied ins Rathaus: Weder Cem Özdemir, der seinen Wahlkreis in Stuttgart hat, noch Muhterem Aras, der Präsident des Landtags und ehemalige Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat, wollten gewählt werden.
Kienzle, 58, ist Bezirksleiterin von Stuttgart-Mitte und verfügt über mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrung als Kommunalpolitikerin und im öffentlichen Dienst. Vielen Bürgern war sie noch unbekannt – sogar kurz vor der Wahl, als ihr Gesicht bereits in der ganzen Stadt verteilt war.
Die Ergebnisse am Sonntag sind übrigens kein Zeichen für die Landtagswahlen im Frühjahr 2021. Da es sich um die Stuttgarters handelte, ergab sich auch eine Umfrage, die sich ausschließlich mit der Frage befasste, welchem Antragsteller sie dem Amt vertrauen. Und hier überzeugte Nopper, der sich auf seine Erfahrung als Oberbürgermeister beziehen konnte, offensichtlich eine besonders große Anzahl von Wählern.
Nopper profitierte auch davon, dass er, obwohl er in Stuttgart geboren wurde, dort in den letzten Jahren keine Verantwortung hatte. Als externer Kandidat konnte er sich der Geschichte anschließen, die diesen Wahlkampf geprägt hat: In Stuttgart schreitet irgendwie nichts voran.
Diese These wurde besonders vehement von Marian Schreier vertreten, einem 30-jährigen Einzelbewerber, der für die SPD kandidieren wollte, aber nicht zugelassen wurde, weil die Stuttgarter SPD seinen eigenen Mann ins Rennen schicken wollte.
Schreier behauptet, die Wohnungspolitik habe in den letzten Jahren einfach nicht geschlafen, und er habe schnell Plakate angebracht, um den „Stillstand“ zu beenden, den er in der Stadt gesehen habe. Er versprach nichts weniger als einen „Neuanfang“ für Stuttgart.
Die meisten Bürger sind mit der Lebensqualität zufrieden
Fast niemand hat öffentlich widersprochen, niemand hat darauf hingewiesen, dass sich die Stadt und der Gemeinderat seit Jahren mit dem Wohnungsbau befassen und dass sich mehrere neue Wohngebiete im Bau oder in der Planungsphase befinden. Niemand hat Schreier eine Liste aller Änderungen in den letzten Jahren angeboten – oder eine mit den Projekten, die bald abgeschlossen sein werden. Die Mehrheit der Bürger ließ sich nicht in den Übertreibungen festhalten. Schreier belegte am Sonntag mit 15 Prozent den dritten Platz.
Man darf nicht vergessen: Stuttgart geht es sehr gut, abgesehen davon, dass die Mega-Baustelle für das Projekt „Stuttgart 21“ nervt. Mehr als zwei Drittel der Bürger bewerten die Lebensqualität und die wirtschaftliche Situation in ihrer Stadt als gut oder sehr gut.
In den letzten Wochen des Wahlkampfs hat sich jedoch gezeigt, dass viele Bürger einen Bürgermeister wollen, der sich, seine Ideen und die Stadt auf einem höheren Niveau verkauft als der derzeitige Fritz Kuhn. Frank Nopper kann dabei helfen. Er zeigte, dass er kein Problem damit hat, sich den Bürgern zu nähern und sich ins Rampenlicht zu stellen.
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