Psychologie: Klimakrise und Koronakrise – Wissen

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Ein Strom von schlechten Nachrichten fließt durch die Gegenwart und verringert das Vertrauen der Menschen. Die Zahl der neuen Fälle von Covid-19 nimmt in Deutschland, in Europa und weltweit zu. Der Herbst steht vor der Tür und damit die Sorge, dass sich die Infektionsrate wieder drastisch verschlechtern wird. Aus dem Schatten der Pandemie wird der Klimawandel nun wieder öffentlich bekannt. Kalifornien brennt, die Wälder brennen. Auch in Europa war der Sommer zu heiß, zu trocken und die Vorhersagen für das Klima sind schlecht, die grönländische Eisdecke, der Permafrost des Nordpols, der Golfstrom, die gesamte Grundlage menschlicher Existenz.

„Wir sehen nur, dass der Planet in Flammen steht“, sagt der Umweltpsychologe Gerhard Reese von der Universität Koblenz-Landau. Der Klimawandel kehrt in die öffentliche Szene zurück, wie Umfragen zeigen. Auch die Aktivisten von „Freitag für die Zukunft“ waren am Freitag nach einer langen Pandemiepause wieder bei den öffentlichen Demonstrationen.

Corona und Klimawandel, ein dämonisches Duo. Wie kann es ertragen werden, wie viel kann das Ende der Welt ertragen, ohne sich abzuwenden und die Hoffnung aufzugeben?

„Wir können vielen Krisen standhalten“, sagt Immo Fritsche, der die Psychologie der Umweltkrise an der Universität Leipzig untersucht. „Die Apokalypse spricht definitiv das Publikum an.“ Negative Nachrichten haben laut Psychologe einen Vorteil in Bezug auf Aufmerksamkeit und Gedächtnis. Sie werden stärker wahrgenommen als gute Nachrichten. Und doch lässt die permanente Abfolge vermeintlich schwerer Krisen nur ein gewisses Maß an kollektiver Aufmerksamkeit zu: Seit ihrem Höhepunkt im Jahr 2015 hat das Migrationsproblem alles andere lange überschattet, bis der Klimawandel kurz im Rampenlicht stand und ihn dann der Koronapandemie beraubt hat. „Es mag nicht sinnvoll sein, aber es ist psychologisch verständlich: Die Menschen versuchen immer nur, eine Sache gleichzeitig durchzuarbeiten“, sagt Andreas Ernst, Psychologe und Umweltwissenschaftler an der Universität Kassel. Das kollektive Potenzial für Aufmerksamkeit und Handeln ist begrenzt.

Die Menschheit als Ganzes kann ziemlich krisenresistent sein, „aber es gibt individuell große Unterschiede“, sagt die Psychologin Reese. Unterschiedliche Persönlichkeiten reagieren mit unterschiedlichen Strategien. und jede Krise ruft unterschiedliche Muster und Reaktionen hervor. Einerseits ist es sehr dringend oder es ist ein spürbarer Bedarf erforderlich, eine Krise zu erkennen und darauf zu reagieren. Nichts funktioniert ohne Druck – aber zu viel Angst lähmt, besonders wenn es keinen Ausweg gibt.

„Menschen werden unterdrückt, wenn sie nicht wissen, was sie tun sollen, oder wenn sie keine Chance sehen, ein Ziel zu erreichen“, sagt der Psychologe Dieter Frey von der Universität München. Eine häufige Reaktion auf Katastrophenmeldungen besteht darin, sich abzuwenden, um zumindest die „emotionalen Folgen einer Krise“ zu meistern, wie Fritsche es ausdrückt. Viele Studien haben gezeigt, dass Menschen unangenehme Wahrheiten gerne vermeiden, indem sie ihre Köpfe in den Sand stecken. Aktienhändler überprüfen ihre Sicherheitsrechnungen nicht mehr, wenn die Preise fallen. Raucher verbergen Informationen über die schädlichen Auswirkungen ihrer Sucht; oder – konsequenter – man bestreitet das Problem in seiner Gesamtheit. Corona ist ein Fehlalarm, der Klimawandel ist eine Lüge, heißt es.

„Aber wenn wir das Gefühl haben, etwas erreichen zu können, nähern wir uns Krisen eher problemorientiert“, sagt Fritsche. Jeder, der einen Plan hat, befriedigt auch ein psychologisches Grundbedürfnis: die Kontrolle über Situationen und sein Leben ausüben zu können. Das Gefühl der Selbstwirksamkeit verringert den Schrecken der Katastrophenmeldungen.

Vor allem Krisen wie der Klimawandel oder die Koronapandemie versetzen den Einzelnen in eine Starrheit: Was kann ein Einzelner erreichen, ist sowieso nicht alles irrelevant? „Deshalb sind Gruppen so wichtig“, sagt Fritsche. In Zeiten akuter Krisen neigen die Menschen dazu, kollektiver als gewöhnlich zu denken und zu handeln. Wer dann sein Handeln als Teil einer kollektiven Bewegung versteht, kann sich vom Gefühl der Ohnmacht befreien. „Was dann möglich ist, haben wir in der Corona-Krise gesehen“, sagt Fritsche, „das ganze Land hat angefangen, sich zu bewegen, wir handeln zusammen.“ Wenn es um das Wesentliche geht, sagt Ernst, sind die Leute sehr handlungsfähig.

Um Krisen zu überwinden und nicht als Einzelner zu verzweifeln, ist es wichtig, Gleichgesinnte zu finden und gemeinsam anzugehen. Wird es das Problem lösen? Vielleicht, wer weiß. Eines ist jedoch sicher: Es hilft der Psyche, den ganzen Wahnsinn auf halbem Weg zu verdauen.

Wolfram Müller

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