In dieser Theatersaison, die im Juli enden sollte, war alles anders, aber im März war es vorbei, als das Auditorium geschlossen wurde. Lockdown – dieser Begriff wird tatsächlich auf den Bühnen in Deutschland verwendet. Alle mutigen Versuche, einen Teil der lebenden Kunst im Internet zu retten, haben nichts geändert.
Im Jahrbuch des Fachmagazins „Theater heute“, das über diese ungewöhnliche Jahreszeit berichtet, dominieren Bilder der Leere die ersten Seiten – verwaiste Veranstaltungsorte, nur Foyers. Das leere Parkett im Berliner Ensemble mit den isolierten roten Samtsitzen sieht aus wie in einem Museum: Bitte nicht anfassen!
Im Gegensatz dazu gibt es fast trotzig alle Anzeigen aus den Stadt- und Staatstheatern, die ihre Pläne für die neue Staffel ankündigen, die jetzt läuft – Signal: Hurra, wir leben noch! Alle haben in den letzten Monaten Distanz- und Hygienekonzepte entwickelt, niemand weiß, wie lange sie gültig sein werden. Aber: es fängt wieder an.
Die jährliche Umfrage unter Theaterkritikern gibt auch vor, dass alles wie immer ist. Und in erster Linie ist man auf bewährte Kräfte angewiesen: Sandra Hüller ist für ihre Skeptikerin alles, was in Frage kommt, aus Bochum „Hamlet“ Interpretation, Schauspielerin des Jahres. 11 von 44 Stimmen gehen an sie, was angesichts der Vielfalt der deutschsprachigen Theaterlandschaft und der damit verbundenen großen Auswahl des Komitees sehr wichtig ist. Hüller auch das ist ein Star im Kino, gewinnt den Titel zum vierten Mal, erst letztes Jahr war sie für sie „Penthesilea“ wurde ausgezeichnet.
Der diesjährige Schauspieler Fabian Hinrichs hat ebenfalls die Auszeichnung erhalten – was Hinrichs 2010 die Jury mit einer Solo-Rolle in einem Stück von René Pollesch überzeugte. ICH „Glaube an die Möglichkeit einer totalen Erneuerung der WeltDiesmal versuchte er, sich in die perfekten Choreografien von Revue-Tanzprofis aus dem Berliner Friedrichstadt-Palast zu integrieren und sprach mit sich selbst über Einsamkeit und die Kälte des Kapitalismus.
Wie Sandra Hüller beeindruckte auch „Junge Schauspielerin des Jahres“ in der Bochumer Produktion von „Hamlet“: Gina Haller spielte Ophelia. Indirekt auch eine Auszeichnung an „Hamlet“ -Regisseur Johan Simons, der als künstlerischer Leiter in Bochum und – sorry – alter weißer Mann mit Hilfe eines jungen, vielfältigen Ensembles und Managementteams mit der Zeit Schritt hält.
Als es zum „Theater des Jahres“ gekürt wurde, wurde er jedoch von den Münchner Kammerspielen und ihrem künstlerischen Leiter Matthias Lilienthal verlassen, die in den letzten fünf Jahren dieses traditionelle, aber auch traditionell innovative Haus gegen viel Widerstand und deutlich mehr Aufführungen und Internationalität strukturell erneuert haben Koproduktionen, Experimente und Diskussionsabende zu den Phasen des Hauses. Lilienthal und sein Team gewinnen ebenfalls die Auszeichnung zum zweiten Mal in Folge – und hör auf, es ist ein abgeschlossenes Geschäft.
Leonie Böhms Werk, das mit fast sechs Stimmen für „Inszenierung des Jahres“ ausgezeichnet wurde, entstand auch bei den Münchner Kammerspiele: Die „Die Räuber“, eine sehr freie und glückliche Bewilligung von Schillers Klassiker, beeindruckt auch von ihrem unehrlichen Körperbau – aber nicht von allen.
Dies gilt auch für Florentina Holzingers „Inszenierung des Jahres“, die in jeder Hinsicht radikal ist (7 Stimmen): „Tanzen“ ist eine Vorstellung von weiblicher Selbstbestimmung, die ebenso sensationell wie verstörend ist, und das nicht nur, weil die Schauspieler, einschließlich des Choreografen Holzinger selbst, alle nackt sind. „Dance“ beginnt mit einem fast klassischen Ballett, verwandelt sich in eine wilde Motorradshow – und endet mit einer Szene, in der eine der Künstlerinnen einen Metallstab durch ihren Hals steckt und sich dann wie eine Marionette aufhängen lässt. „Die Beziehung zwischen romantischem Ballett und Pornografie und der Showwelt in Las Vegas ist offensichtlich“, sagte Holzinger in SPIEGEL. „In allen Fällen geht es um die männliche Inszenierung des weiblichen Körpers.“
In den letzten Jahren war nur der Regisseur Vegard Vinge mit seiner Partnerin Ida Müller so radikal und brutal zu sich selbst wie sein Publikum. Sechs der 44 befragten Kritiker erklärten Vinge und Müllers 12-stündige Produktion von „John Gabriel Borkman“ im Prater 2011 in der Volksbühne zu ihrer „Produktion des Jahrzehnts“. Nicht nur die Fachjury, sondern auch viele Künstler haben die Produktion nachhaltig beeindruckt – Vinges verstörte, wütende Trotzkind-Performance, vor der nichts und niemand sicher war, sowie Müllers Bühnen- und Kostümdesign, das eine sehr einzigartige visuelle Sprache zwischen Comics, Horrorshows und expressionistischer Film.
Ist es ein Zufall, dass am Ende dieser seltsamen Saison so viele radikale, übertriebene, körperlich intensive Darbietungen gefeiert werden – Darbietungen, die in unserem neuen aseptischen Leben wie übertriebene Orgien aussehen?
Ewald Palmetshofers „Stück des Jahres“ „The Lost“ setzt einen Kontrapunkt. „Zeit“ -Kollege Peter Kümmel beschreibt das im Herbst 2019 im Münchner Residenztheater uraufgeführte Werk als „Oratorium für Massen, die im Chor zum Ausdruck bringen, dass sie doch allein sind. Es geht um Bedürfnisse, es wird von der Sprache gezähmt“ . Willkommen in Coronas Alter.
Publikation: Der Autor dieses Artikels war einer der 44 Kritiker, die an der Studie „Theater heute“ teilgenommen haben.
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